Ab 6 Uhr morgens fliegen die ersten Stirnlampen-Lichtkegel durch das Dorm und läuten das Ende einer unruhigen Nacht ein. Schläfrig trotten wir runter in den Frühstücksraum, wo geschäftiges Treiben herrscht.
Die halbe Hütte ist schon leer und professionell wirkende Wanderer machen sich bereit für ihre Tagesrouten. Wir lassen uns davon nicht beeindrucken.
Was uns an Expertise fehlt, machen wir locker durch gute Laune wett.
Nach einem kurzen und schlechten Frühstück starten wir motiviert in die dritte Etappe. Von Trient über die Fenêtre d’Arpettte (2664 m) bis nach Champex. Laut unseres Führers steht uns eine der härtesten Etappen, der gesamten Route bevor.
Das kann ja heiter werden!
Doch zunächst fängt alles relativ harmlos an. Auf der Schattenseite des Berges windet sich ein wunderschöner Pfad in angenehmen Kurven hinauf, steigt aber schon bald steil an.
Stetig laufen wir dem Trient Gletscher entgegen, der majestätisch ins Tal hinabkriecht.
Nachdem wir die Baumgrenze überwunden haben, fängt der Anstieg erst so richtig an. Schon den ganzen morgen klagt mein Wanderpartner über Fußschmerzen.
Bei unserer Whirlpool-Aktion vom Vortag, hat er sich auf dem Sonnendeck einen sechs Zentimeter langen Splitter in den Fuß gerammt. Den Splitter haben wir vor Ort entfernt aber der schmerzende Fuß deutet darauf hin, dass wir möglicherweise etwas übersehen haben.
Während einer Pause schaue ich mir die Wunde noch einmal genauer an. Da ich meine Pinzette am Vortag verloren habe, gehe ich dabei mit zwei großen Klappmessern zu Werke. Als ich gerade mit beiden Klingen die Haut auseinander ziehe, kommen zwei Engländer um die Ecke, die wir am Vortag in der Hütte kennengelernt haben.
Meine „deutsche“ erste Hilfe Maßnahme sorgt für rege Heiterkeit. Leider werde ich nicht fündig und so muss sich mein Genosse weiter quälen.
Da humpelt er tapfer weiter…
Endlich am Ziel (denken wir, weil wir nicht wissen, das uns das Schlimmste noch bevorsteht)!
Nach und nach trudeln die Profis ein, die wir natürlich längst eingeholt hatten.
Der Blick ins Tal.
Die freche Alpendohle, der wir auf unserer Wanderung noch oft begegnen sollten.
Nach einem anstrengenden Anstieg, folgt ein noch beschwerlicherer Abstieg. Schon im ersten Schneefeld, geht mein rechter Trekkingstock zu Bruch. Ein großer Verlust wie sich im Verlauf der Wanderung noch herausstellen soll.
Die Felder überqueren wir im Ski-Style. So kann man schnell und spaßig Weg gut machen.
Je weiter wir absteigen, desto klarer wird, dass die Stundenangaben auf Schildern und in unserem Führer absolut unrealistisch sind.
Wir sind die ersten Wanderer auf der Route und dennoch kommen wir unserem Ziel einfach nicht näher. Alle halbe Stunde motiviere ich meinen hinkenden Partner mit völlig falschen Zeitangaben. „Noch fünfzehn Minuten“. „Jetzt aber wirklich“, „So, jetzt kann es aber nicht mehr weit sein“ usw.
So marschieren wir ohne Pause weiter bis nach zehn Stunden endlich das erlösende Ortsschild von Champex vor uns steht.
Fröhlich begrüßt uns das Hüttenmaskottchen. Im Dorm, schaue ich mir mit Stirnlampe, geliehener Pinzette und Messer den geduschten Fuß meines Kollegen nochmal genauer an. Aus den Untiefen seines Fußes gelingt es mir tatsächlich noch einen dicken Splitter zu Tage zu fördern! Unglaublich!
Das muss man ihm erst mal nachmachen. 1400 Höhenmeter überwinden mit Holz im Fuß!
Beim Abendessen lernen wir wieder interessante internationale Gäste kennen. Ein junges Paar aus USA und Israel, die in Singapur wohnen und ein rüstiges, älteres Paar, das schon sagenhafte 18 Tage auf Tour ist.
Am nächsten Morgen heißt die Devise: Entspannung. Die vierte Etappe von Champex nach Le Châble ist ein circa fünf stündiger Weg, der hauptsächlich moderat abfallend ins Tal führt. Genau das richtige nach den Strapazen des Vortages.
Unterwegs holen uns die Engländer ein (die auf flacher Strecke immer unheimlich schnell werden).
Den Rest der Etappe laufen wir gemeinsam. Wie alle Wanderer, denen wir auf der Tour begegnen, haben auch sie interessante Jobs. So ist der eine persönliche Berater von Rafael Nadal bei Pokerstars.com. Der andere arbeitet im VoIP-Geschäft.
Das sollte aber nicht die letzte heitere Begegnung des Tages bleiben. Als wie in Le Châble einlaufen, fällt meinem Kollegen auf, dass er hier schon mal war und möglicherweise eine ehemalige Kommilitonin von ihm hier wohnt. Doch ein telefonischer Kontaktierungsversuch scheitert.
Als wir aber am Abend auf dem Dorfplatz zu Abend essen, steht auf einmal ihr Freund vor uns. Ein redseliger Franzose aus Marseille, der uns begeistert einlädt uns seinen Garten anzuschauen. Die Freundin sei zwar leider nicht da aber wir können auf ein paar Bier zu ihm nach Hause kommen.
Nachbarn, Kindern und Dorfbewohner werden uns bei der Gelegenheit auch direkt vorgestellt.
Landidylle wie aus dem Bilderbuch. So kann man tatsächlich leben!
Unser Herbergszimmer teilen wir uns mit einem knallharten ungarischen Pärchen, die auch die Walker’s Haute Route laufen.
Allerdings mit doppelt so viel Gepäck wie wir. Als ich mich beim Duschen entkleide, fällt mir mein Smartphone auf die Kacheln und zerspringt in tausend Teile. Jetzt bin ich endlich offline. Der Urlaub kann beginnen.
Ab morgen geht es wieder aufwärts!
Toller Bericht und schöne Fotos. Zum Glück konntest Du den zweiten Splitter noch entfernen. 🙂
Danke! Fortsetzung folgt…:o)