Tag 5
Vom Karanga Camp (3936 m) zum Barafu Basecamp (4673 m)
Ein weiterer herrlicher Morgen bricht an. Nach dem Frühstück geht es auf einen lockeren vierstündigen Spaziergang Richtung Basecamp.
Die Aussicht könnte schlechter sein!
Immer höher und höher.
Eine Landschaft wie Mordor in Herr der Ringe. Wenn ihr genau hinschaut, seht ihr ein paar Menschen den Bergrücken hinaufstapfen.
Gegen Mittag erreichen wir das Barafu Basecamp, wo wir uns, wie in allen Camps, zunächst registrieren müssen.
Dann heißt es die Zeit bis zum Summit-Push um Mitternacht mit Erholung zu verbringen. Ruud und ich hauen uns in unsere Kojen, wo wir bis 17 Uhr lesen und schlafen.
Wir kommen zum letzten Mal im Mess-Tent zum Summit-Briefing zusammen. Unser Guide Godfrey erklärt uns, was uns in der Nacht erwartet und gibt uns Tipps, wie wir die Gipfelnacht am besten überstehen.
Benson verbietet uns auf dem Weg nach oben zu fragen, wie weit es noch ist, weil uns das psychologisch fertig machen würde und Godrey fügt hinzu: Vomiting is NOT a reason to quit.
Au weia!
Tag (bzw. Nacht) 6
Vom Barafu Camp (4673m) zum Gipfel (Uhuru Peak 5895m) und hinunter ins Millenium Camp (3820m)
Um 23 Uhr werden diejenigen von uns geweckt, die geschlafen haben. Also keiner. Wir krabbeln aus unseren Schlafsäcken und ziehen uns so ziemlich alles an, was wir an Klamotten dabei haben. Drei Lagen für die Beine und fünf Lagen für den Oberkörper.
Im Mess-Tent gibt es nochmal Tee und Ingwer-Kekse. Elizabeth und ich schaufeln uns sogar pflichtbewusst etwas Porridge rein (die anderen kriegen das Zeug nicht mehr runter). Wir ziehen uns die Stirnlampen auf und treten hinaus in die sternenklare Nacht.
Jetzt geht es tatsächlich los. Der Moment, der uns so viele schlaflose Nächte bereitet hat und auf den wir alle hingefiebert haben.
Im Schneckentempo folgen wir Benson. Über uns ein Wahnsinns-Sternenhimmel, unter uns die Lichter der Stadt Moshi (Leider habe ich davon keine Bilder machen können). Wir reihen uns in eine Lichterkette aus Stirnlampen ein, die sich langsam den Berg hinauf schlängelt. Nun beginnt der mentale Kampf mit sich selbst.
Schon nach einer guten Stunde ist das Wasser in unseren Trinkblasen eingefroren! Zum Glück hat uns der Benson den Tipp gegeben, eine, in eine Wollsocke gesteckte Flasche, mitzunehmen. In der Pause greife ich darauf zurück aber auch hier schwimmen schon Eisstücke im Wasser.
Um meinen Kopf frei zu bekommen, höre ich heute Musik. Das ist eine gute Ablenkung. Nach einer Weile merke ich, dass mich das ständige hinaufschauen deprimiert, weil der Berg einfach kein Ende nimmt. Immer erblickt man noch das Licht einer Stirnlampe in der Ferne. Ich beschließe daraufhin nur noch nach jedem dritten Song kurz nach oben zu schauen. Zwischendurch prüfe ich, ob ich die Texte noch mitsingen (bzw. mitdenken) kann, um festzustellen, ob ich schon den Verstand verloren habe oder nicht. Durch die Höhe scheint der Körper nämlich nur noch das absolut Notwendigste zu tun.
So geht es endlose Stunden weiter. Die gesamte Zeit schaue ich wie in Trance auf die Stiefel von Ruud, der vor mir geht und bekomme überhaupt nicht mehr mit, was links und rechts von mir geschieht.
Plötzlich bleibt Ruud stehen und ich sehe, dass vor mir diskutiert wird. Chris fühlt sich miserabel und sieht auch so aus. Er hat ganz glasige Augen und sagt, dass er nicht mehr weitergehen kann.
Wir fragen Benson gegen unsere Abmachung wie weit es noch ist und als er antwortet: noch 1,5 Stunden bis zum Kraterrand, fange ich fast an zu heulen. Wir sind alle geschockt. Wir hatten geglaubt, dass wir fast angekommen seien.
Jetzt müssen wir schnell eine Entscheidung treffen, denn sobald man stehen bleibt, wird einem eiskalt.
Chris sagt, dass er nicht weitergehen kann und Elizabeth und Benson bleiben bei ihm.
Godfrey, Ruud und ich ziehen alleine weiter. Der Sonnenaufgang wird uns neue Energie geben, sagt unser Guide. Und tatsächlich erscheint schon kurze Zeit später ein schmaler Lichtstreifen am Horizont und ich schöpfe neue Hoffnung.
Zeitgleich mit dem Sonnenaufgang erblicke ich endlich den Kraterrand! Jetzt marschiere ich weiter egal, was passiert.
Als wir fast am Kraterrand angekommen sind sehen wir, dass Benson mit Chris und Liz doch noch nachkommen. Ich schaue hinunter und sehe wie eine Frau mitten auf dem Weg zusammenbricht und in Fötusstellung liegen bleibt. Sie ist aber in Begleitung und so gehen wir weiter.
K.O. und glücklich erreichen wir den Stella-Point. Wir tauschen High-Fives aus und freuen uns, da der Gipfel nur noch einen Steinwurf entfernt ist. Zumindest denken wir das.
Leider eine Fehleinschätzung. Wir machen eine kurze Pause in der Morgensonne und Ruud schlägt vor, auf die anderen zu warten aber ich merke, dass es mir von Minute zu Minute schlechter geht und dränge darauf weiterzugehen.
Vom Stella Point ist der Uhuru Peak schon teilweise zu sehen aber dennoch braucht man noch circa 45 Minuten, um ihn zu erreichen. Eine echte Tour de Force.
Und dann steht das Schild tatsächlich vor uns. Mir schießen die Tränen in die Augen. All die Anspannung und Anstrengungen der letzten Tage, weichen einem Gefühl von Erleichterung, Glück und Dankbarkeit.
Ich stehe auf dem Gipfel! Der Gipfel, der mir seit zwei Monaten im Kopf rumgeschwirrt ist. Der Gipfel, den ich aus dem Flugzeug gesehen habe und der mir unerreichbar erschien. Wahnsinn!
Started from the bottom, now we’re here! Einfach nur unglaublich. Wenn mir mal einer erzählt hätte, dass ich mal auf dem Gipfel des Kibos stehen würde, hätte ich das nicht geglaubt. Ein bewegender Moment.
Scheinbar haben uns auf den letzten Metern auch die anderen eingeholt (ich habe das gar nicht mehr mitbekommen, weil ich im Gipfelfieber einfach vorne weg gelaufen bin) und so kommen wir geschlossen als Team an. Elizabeth strahlt mich an und sagt: „We made it!“ auch Ruud und Chris sind sichtlich bewegt.
Wir bleiben circa 20 Minuten am Gipfel. Dann wollen wir alle nur so schnell wie möglich wieder hinunter. Godfrey geht mit Chris vor, der sich am schlechtesten fühlt. Ich beginne den Abstieg mit Baracka vom Team Ahsante, der uns für den Notfall ebenso begleitet hat. Die Sonne knallt nun richtig, ich schwitze mir einen ab und realisiere jetzt erst wie fix und fertig ich bin.
Der Weg nimmt einfach kein Ende. 1200 Höhenmeter schlittern wir auf dem Geröll hinunter und schlucken Staub ohne Ende. Schließlich erreichen wir das Barafu-Camp. Ich hau mich direkt ins Zelt. Mein Kopf tut brutal weh. Eine halbe Stunde später kommt auch Ruud an und wir werfen beide Paracetamol ein und legen uns schlafen.
Nach dem Mittagsschlaf müssen wir weitere 1100 Höhenmeter zum Millenium-Camp absteigen. Mit dem Gipfelerfolg und der Pause im Rücken watscheln wir die paar Meter aber auch noch selig hinunter.
Diese Schubkarren sind die einzigen Ambulanzen am Berg. Über Funk erfährt unser Guide, dass eine Frau durch die Höhe heute durchgedreht ist und wild um sich geschlagen hat. Sie wurde dann von zwei Portern auf so ein Gefährt geschnallt und hinunter gefahren!
Am Nachmittag erreichen wir das Millenium Camp. Nach sechs Tagen ohne Dusche sind wir so dreckig wie nie. Alles ist staubig, die Fingernägel schwarz, die Klamotten verschwitzt und die Haare fettig. Wir können es kaum erwarten am nächsten Tag zu duschen.
Mein Zeltnachbar Ruud hat ab und zu mit seiner GoPro gefilmt und daraus diesen kurzen Film gemacht. Da könnt ihr mal sehen wie langsam man den Gipfel hochschleicht (Das ist keine Zeitlupe!).
Wenn ihr drauf achtet, sehr ihr in der Gipfelszene wie das Wasser im Camelbag-Schlauch von Ruud gefroren ist. Außerdem gibt’s ein paar Bergmäuse und Geierrraben zu sehen, eine Innenansicht von unserem Zelt (und man erkennt gut wie fertig wir alle die ganze Zeit aussehen).
Ein wunderschönes Erlebnis für alle Beteiligten. Obwohl der Kili immer als einfachster der 7 Summits bezeichnet wird, zeigt das Beispiel der durchgedrehten Frau doch, dass man diese Höhe nicht unterschätzen sollte. Sowohl physisch als auch psychisch kann das sehr belastend sein.
Aber schön, dass du es geschafft hast!
Ja, ich schätze abgesehen vom Mount Kosciuszko in Australien gehört der Kibo zu den leichtesten der Seven Summits.
Die Höhe ist eigentlich das einzig anspruchsvolle, da kein technisches Bergsteigen notwendig ist. Aber die Höhe ist echt brutal und gefährlich. Dieses Jahr sind schon einige am Kili gestorben und ich habe mich mit mehreren Leuten unterhalten, die die Tour abbrechen mussten, weil sie höhenbedingte Probleme bekommen haben.
Je länger man sich Zeit lässt, desto besser.
Aber höher werde ich glaube ich nicht mehr gehen 🙂
Ich habe jeden Tag mitgelesen und muss sagen: WOW … der Gipfel steht auch noch auf meiner „Bucket List“ 😀 Ganz ganz großartig
LG Mel
Ja, nur zu! Und auch so ist Tansania eine Reise wert 🙂
Je kaputter und ausgelaugter die Typen bei der Wanderung, desto besser fühlt man sich beim Lesen 🙂
Ja, wa? Geht mir auch so.
So Bücher wie „In eisigen Höhen“, „72 Tage in der Hölle“ oder „Im Sog der Tiefe“ lese ich auch schön gemütlich im Bettchen.
Aber was die Strapazen angeht – Wie heißt es so schön: an die sonnigen Tage erinnert man sich nicht 🙂
Wunderschöner Bericht! Ich konnte nicht aufhören zu lesen und die Bilder sind auch sagenhaft! Vielen Dank dafür und liebe Grüße 🌞 ☺️