Was hatte ich nicht für tolle Urlaubspläne: Höhenluft schnuppern auf dem Annapourna-Circuit in Nepal, auf dem GR 20 Korsika durchschreiten oder doch eine weitere Alpenüberquerung von Salzburg nach Triest?
Doch als die Pandemie immer näher rückte, wurde schnell klar, dass die großen Abenteuer vertagt werden müssten. Es wurde Zeit für Plan B.
Warum nicht eine Fernwanderung vor der Haustür? Den 66-Seen-Weg hatte ich schon länger auf dem Radar aber wollte mir diese Berlin-Umrundung eigentlich für die Rente aufsparen. Zu flach und unspektakulär erschien mir der Weg für meinen Lebenshunger.
Zudem hat der Berliner ein ambivalentes Verhältnis zu seinen Nachbarn. Doch Krisen bringen die Menschen zusammen.
Vielleicht war das Virus ein Signal, meine Vorurteile über Bord zu werfen und mit offenem Herzen die Wildnis Brandenburgs zu erkunden.
Etappe 1 – Von Potsdam nach Marquardt
Gesagt, getan. Nach einer klimafreundlichen Anreise mit der S-Bahn stehe ich am Startpunkt: dem Brandenburger Tor in Potsdam.
Von hier geht’s los: einmal im Uhrzeigersinn um die Hauptstadt.
Für die erste Nacht, hatte ich im Vorfeld keinen Schlafplatz gefunden und wollte mir zunächst die Lage vor Ort anschauen bevor ich wildzelte. Deshalb werde ich am Ende der Etappe wieder nach Berlin fahren und zu Hause übernachten.
So hab ich nur einen Tagesrucksack dabei und trage Trailrunning-Schuhe mit Tennis-Socken. Spoiler Alert: ein großer Fehler, den ich in den nächsten Tagen bereuen werden.
Aber noch sind das Wetter und meine Laune exzellent. Die Wanderung beginnt mit einem Spaziergang durch den Schlosspark Sanssouci.
Der Weg führt an den schönsten Sehenswürdigkeiten Potsdams vorbei. Vom Cecilienhof bis zum Belvedere.
Schon bald flankiere ich die ersten Seen.
Auf der ersten Etappe sind die GPX-Tracks unerlässlich. Denn Markierungen sucht man vergeblich.
Auf der gesamten Strecke habe ich vielleicht eine Handvoll blauen Punkte gesichtet, die den 66-Seen-Weg markieren.
Am frühen Nachmittag erreiche ich mein Ziel in Marquardt. Die Etappe gehört zu den schönsten des Weges.
Ich muss mich allerdings wieder ans Fernwandern gewöhnen.
Ich habe mir die Füße heiß gelaufen und die Ferse aufgescheuert.
Etappe 2 – Von Marquardt nach Brieselang
Der zweite Tag ist deutlich weniger spektakulär und verläuft relativ ereignislos. Auf halber Strecke, treffe ich eine Wandersfrau, die gerade auf der Suche nach einer Wegmarkierung ist.
Ohne meinen GPS-Track hätte sie den Weg wahrscheinlich nie gefunden, denn die Beschilderung auf diesem Abschnitt lässt zu wünschen übrig.
Am Ende eines sehr heißen Tages stelle ich erschöpft mein Zelt auf einem hässlichen Wohnmobil-Stellplatz auf. Hier begegnen mir leider auch schon die ersten grimmigen und latent fremdenfeindlichen Brandenburger.
Etappe 3 – Von Brieselang nach Henningsdorf
Ich bin nicht unglücklich den Stellplatz hinter mir zu lassen, als ich um 5:30 morgens frohen Mutes in die dritte Etappe starte.
Im Laufe des Tages nimmt der Regen zu und meine Laune ab. Ich bin völlig erschöpft als ich nach knapp 30 km den Bahnhof Henningsdorf erreiche.
Es rächt sich, dass ich am ersten Tag keine Wandersocken getragen habe. Die Aufschürfung an meiner Ferse hat sich in meinen nassen Schuhen zu einer blutig eitrigen Blase entwickelt.
Da es in Henningsdorf keine Schlafmöglichkeit gibt, fahre ich frustriert mit der S-Bahn nach Hause. Hier versorge ich meine Wunde und nehme mir vor die nächsten Tage besser zu planen.
Etappe 4 – Von Henningsdorf bis Zühlsdorfer Mühle
Mein verletzter Fuß, der ununterbrochene Regen und die schlechten Markierungen haben mich die ersten Tage in eine dunkle mentale Ecke gedrängt. So darf es definitiv nicht weiter gehen.
Also bin ich am Vorabend in mich gegangen, habe meine positiven Geister geweckt, meinen Rucksack neu gepackt, die kommenden Tage bestmöglich geplant und meinen Fuß intensiv versorgt.
Frohen Mutes starte ich in die 4. Etappe. Tatsächlich läuft es gleich viel runder. Der Geist gibt den Ton an und der Körper folgt. Langsam finde ich meinen gewohnten Fernwander-Tritt.
Auch landschaftlich wird es reizvoller. Ähnlich wie auf dem Kungsleden letztes Jahr geht es auf Holzbohlen durch die eiszeitlich geprägte Wildnis des Briesetals.
Mystische Sumpfgebiete und das so nah an der Hauptstadt!
Nach einer langen und schönen Etappe erreiche ich den Zeltplatz an der Zühlsdorfer Mühle. Das Publikum ist sehr gemischt. Von radwandernden Familien bis zu einheimischen Dauercampern in Bundeswehrtarnklamotten. An einem Wohmobil hängt eine gigantische Südstaaten-Flagge. Naja….
Etappe 5 – Von Zühlsdorfer Mühle bis Ferienpark am Hellsee
Mit den ersten Sonnenstrahlen verlasse ich den Zeltplatz. Heute stehen ein paar beliebte Wochenendreiseziele der Berliner auf dem Programm: Wandlitz und der Liepnitzsee.
Brandenburg – Cowboy-Country.
Ein herrlicher, heißer Tag, der eigentlich zum Baden einlädt aber die Etappen sind lang und die Schlafsituation ungewiss, deswegen bleib ich in Bewegung.
In Wandlitz laufe ich staunend an prächtigen Villen vorbei. Ich spaziere gemütlich eine Seitenstraße entlang als ich in der Ferne einen auffällig lackierten Porsche entdecke.
Ich denke mir: das Design kennst du doch. Der sieht doch aus wie der Porsche von Attilla Hildmann! Wird der etwa in Serie produziert?
Nein, denn just in dem Moment steigen zwei Männer ein. Als sie in Schritttempo an mir vorbei fahren, sitzt tatsächlich Deutschlands bekanntester Verschwörungsknallkopf am Steuer! Und er hatte nicht mal einen Aluhut auf.
In Wandlitz wurde bei der Europawahl die AFD mit über 20 % stärkste Kraft. Naja.
Das gespaltene Verhältnis des Berliners zu Brandenburg ist halt nicht unbegründet ambivalent. Schade, denn landschaftlich ist es hier sehr schön.
Weiter geht’s durch ein Waldstück und vorbei am beliebten Liebnitzsee. Hier sonnt sich ein sehr gemischtes Publikum, Austauschstudenten, Shisha-rauchende Teenies und zwei Seen weiter saufende Metallprolls.
Letztere schlafen leider auch wie ich am Ferienpark am Hellsee auf dem ich mit meinem Zelt dieses kuriose Plätzchen beziehe.
Glücklicherweise schlägt wenig später eine junge Familie auf, die der volltätowierten Reisegruppe erklärt, dass ihr Kleinkind nicht so positiv auf Deathmetal reagiert.
Und wenig später hört man nur noch die Vögel zwitschern. Ist das nicht schön.
Langsam fängt mir die Wanderung an richtig Spaß zu machen. Wie sollte es einem auch schlecht gehen, wenn man von so einem Sonnenaufgang geweckt wird?
Etappe 6 – Vom Ferienpark am Hellsee bis See hinter Neugersdorf
Heute steht eine längere Etappe auf dem Programm.
Landschaftlich ist die Strecke reizvoll, allerdings herrscht eine Brüllhitze und ich schleppe mich langsam voran.
Irgendwann ist auch mein Wasservorrat erschöpft und weit und breit ist keine Menschenseele in den Ortschaften zu sehen. Durstig ziehe ich weiter bis zu meinem designierten Schlafplatz.
Zumindest sah es auf der Karte so aus als ob man hier gut übernachten könnte. Und tatsächlich finde ich eine geeignete Stelle.
Vorher haben mir ein paar Locals noch netterweise einen Schlafplatz bei sich im Garten angeboten. Aber ich war so K.O., dass ich soweit nicht mehr laufen wollte.
Stattdessen bau ich mein Zelt auf, filter Wasser aus dem See (das leider auch gefiltert nach Entengrütze geschmeckt hat) und nehme ein Nacktbad.
Am Abend höre ich plötzlich stimmen. Ich strecke meinen Kopf aus dem Zelt und sehe wie sich zwei Angler am See positionieren.
Ich denke, dass die bestimmt bald wieder nach Hause gehen, da es schon dunkel wird. Aber nein. Wenig später setzt Regen ein, der die ganze Nacht anhält.
Am nächsten Morgen sehe ich, dass die beiden Angler, die ganze Nacht unterm Regenschirm am See gehockt haben. Jedem Tierchen sein Pläsierchen…
Etappe 7 – Neugersdorf bis Country Camping Tiefensee
Weiter geht’s Richtung Süden auf einer schönen Etappe.
Schwitzend schreite ich meinem Tagesziel entgegen und sammel dabei Mückenstiche ohne Ende. Meine Waden sehen richtig übel aus als ich am frühen Nachmittag auf dem riesigen Campingplatz am Tiefensee ankomme.
Als ich gerade überlege eine Runde zu schwimmen, ziehen kühler Wind und Regenschauer auf. So dass ich mich im Zelt verkrieche und meine spannendes Buch weiterlese (Eleven Rings von Phil Jackson).
Etappe 8 – Country Camping Tiefensee bis S-Bahnhof Strausberg
Ich bin in Berlin leider kein Frühaufsteher. Absurderweise klappt es im Urlaub aber immer. Zumindest beim Wandern (und eigentlich mache ich ja nur noch Wanderurlaub).
Es gibt nichts schöneres als Morgens zu wandern. Stille, angenehme Temperaturen und friedliche Natur. Das verhindert leider nicht, dass ich mir kurzzeitig verlaufe.
Wieder mal geht es heute an einigen Seen vorbei. Teilweise liegen auf dem Weg Sturmschäden vom Unwetter in der Nacht.
Eine Stunde vor Strausberg klagt mir ein Einheimischer sein Leid. Die Gastronomie sterbe in der Gegend aus.
Den Besuch von Strausberg spare ich mir für ein anderes Mal und steuere stattdessen direkt die S-Bahn Station an. Nach Marquardt und Henningsdorf ist Strausberg, die dritte und letzte Etappe bei der ich zu Hause übernachten werde.
Im südlichen Teil entfernt sich der Weg von der Hauptstadt und es gibt es keine BVG Anbindungen an Berlin mehr. Mit der Regionalbahn könnte man zwar weiterhin nach Berlin fahren aber ich werde die restliche Strecke im Zelt Übernachten.
Fazit
Der nördliche Teil des 66-Seen-Wegs hat sehr reizvolle Etappen (Potsdam, Briesetal, Wandlitz) allerdings sind Zeltplätze hier spärlich gesät. Ich bin deshalb an drei Tagen mit der S-Bahn nach Hause gefahren. Wer sich gut organisiert, findet bestimmt auch ein Plätzchen zum Wildzelten.
Im südlichen Teil ist die Zeltplatz- und Unterkunftssituation deutlich besser.
Volle Straßencafés oder gute Infrastruktur (Wasser, Lebensmittel) sucht man teilweise vergebens. Auch muss man nicht immer mit Herzlichkeit des Brandenburgers rechnen.
Ich bin gespannt, was der nächste Abschnitt bringt.
Als Berlinerin sehr interessant zu lesen, zumal mir die Vorbehalte gegenüber Brandenburg(ern) nicht unbekannt sind, man ja aber doch häufiger die Seen genießt.
Ja, ob sich das nochmal ändern wird 🙂