Der GR 20 – Von Tighjettu bis Capannelle

Tag 5 – Etappen 5 & 6 – Tighjettu bis Manganu (30,4 km, 1844 Hm↑ 1957 Hm↓ )

Nach der gestrigen Etappe mit dem Abstecher auf den Monte Cinto war ich platt wie eine Flunder aber heute morgen fühle ich mich überraschend fit. Gemeinsam mit einer deutschen Wegbekanntschaft ziehen wir zeitig los.

Vorerst geht es weiter bergab bis wir schon bald die Bergerie d’u Vallone erreichen. Diese könnte man auch als Übernachtungsort nach der vierten Etappe anpeilen. So kann man eine etwaig geplante Doppeletappe am nächsten Tag etwas abkürzen.

Menschen, die legendäre Traumpfade wie den Pacific Crest Trail gewandert sind, genießen bei mir höchsten Respekt. Diese Dame zum Beispiel:

Aber auch die härtesten Wanderer laufen nicht unbedingt schnell. Als der Weg wieder steil ansteigt, lasse ich sie hinter mir zurück. Ich sag ihr noch, wir sehen uns auf der Hütte aber das Schicksal hatte scheinbar andere Pläne.

Wenig später treffe ich auf die legendäre Fremdenlegion, die ihre Gewaltmärsche auf dem GR 20 trainieren (8 Tage für die gesamte Strecke). Sie treten aus dem Weg und grüßen freundlich. Die haben gleich gesehen, dass sie mit mir besser keinen Streit anfangen.

Ich bin Pazifist aber wer mal ein unglaublich spannendes Tagebuch und Zeitzeugnis zu dem Thema lesen möchte, dem  empfehle ich: Legionnaire: Five Years in the French Foreign Legion* von Simon Murray.

Kurz bevor ich den Pass erreiche setzt plötzlich heftiger Schneeregen ein. Der Wind fegt mich fast vom Berg als ich blinzelnd über ein Plateau durch den Nebel taumel. Als der Schauer wenig später nachlässt, fällt mir auf, dass die GR 20 Markierung verschwunden ist. Ich schaue mich ratlos um, da taucht ein Wanderer hinter mir auf. Ich frage ihn, ob das noch der GR 20 sei und er verneint. Um zur nächsten Hütte Ciotullu di i Mori zu gelangen, hätte ich nicht auf der Rückseite des Berges absteigen sollen.

Der Weg auf dem ich mich aktuell befinde führt zwar wieder auf den GR 20, nur müsste ich dann eine Doppeletappe bis zur nächsten Hütte gehen. Ich könnte auch einfach das kleine Stück wieder zurücklaufen aber es ist so früh am Tag und ich fühle mich noch fit also beschließe ich spontan weiterzugehen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
 

Der Weg ist nicht mehr so steinig wie auf den ersten Etappen, dafür ist die Kilometerzahl deutlich höher. Und so laufe ich endlos weiter. Zwischendurch regnet es immer wieder und ich bin froh über meine neue Regenjacke.

Bei dem Baum könnt ihr euch vorstellen, wie windig es da oben war.

Am Nachmittag klart das Wetter auf, just als ich diesen pittoresken Ort erreiche. Hier sieht es fast aus wie auf dem Kungsleden in Schweden!

Mittlerweile gehe ich allerdings auf dem Zahnfleisch. Gerade als ich denke, dass diese verdammte Hütte nicht mehr weit sein kann, erblicke ich eine selbige am Horizont. In einer letzten Kraftanstrengung eile ich dorthin, nur um festzustellen, dass es sich nur um eine Bergerie handelt.

Ätzend. Also weiter. Eine halbe Stunde später taucht die nächste Hütte auf. Endlich!

„Stick a fork in me, ‚Cause I’m done,“ denke ich. Aber nein! Schon wieder eine Bergerie. Das kann doch nicht wahr sein! Aber der Schäfer zeigt mir in weiter Ferne die tatsächliche Hütte Manganu. Das sieht mir viel zu weit aus aber wenigstens ist nun das Ziel in Sichtweite.  

  

Völlig platt erreiche ich Manganu. Dann muss ich auch noch mein Zelt aufbauen, meine Sachen und mich waschen und Nahrung aufnehmen. Es bleibt einem wirklich nichts erspart.

Und weil ich eine Doppeletappe gelaufen bin, komme ich relativ spät an der Hütte an, die schon gerammelt voll ist. Ich finde nur noch einen schrägen Platz für mein Zelt. Als ich mir vor dem Schlafen gehen die Zähne putze, fängt es massiv an zu regnen. Die ganze Nacht trommelt es auf mein Zeltdach. Düstere Aussichten….

Tag 6 – Etappen 7 & 8 – Manganu bis Onda (18,5 km,  1496 Hm↑ 1627 Hm↓)

Es regnet immer noch als am nächsten Morgen mein Wecker klingelt. Widerwillig schäle ich mich aus meinem Schlafsack. Nach einem kurzen Frühstück ziehe ich los. Auf nassem Geröll führt der Weg mich bergauf.

Anfangs nieselt es nur leicht aber das Wetter wird mit jedem Höhenmeter schlechter. Der Weg erfordert vollste Konzentration. Bei starkem Wind balanciere ich über scharkantige, nasse und steile Boulderfelder. Wenn man hier nicht aufpasst, landet man in einer Felsspalte…

Als ich den Grat erreiche hat das Wetter kritische Ausmaße angenommen. Die Temperaturen sind stark gefallen, die Sicht ist eingeschränkt, es fällt eisiger Regen und ein brutaler Wind weht. Der Wind weht so stark, dass mir fast mein Raincover vom Rucksack abfliegt.
Immerhin drückt der Wind mich in die Wand, denn der Pfad ist nun sehr exponiert. Hier möchte ich ungern einen Abflug ins Tal machen. Ich eile voran, um diese Gefahrenzone schnellstmöglich hinter mir zu lassen. Ich treffe auf ein paar Wanderer, die extrem schlecht ausgerüstet in Laufshorts und Jäckchen mit Panik in den Augen auf dem Weg stehen.
Auch ich fühle mich hier absolut nicht wohl. Ich hechte weiter als sich in einem sehr schmalen Felsdurchgang auf einmal Wanderer stauen. Bald sehe ich auch warum. Hier muss man sich drei Meter an einer Eisenkette hinunterhangeln. Und nicht alle trauen sich. Während herumdiskutiert und gut zugeredet wird, drückt uns erbarmungsloser Wind in die Wand. Der Fels ist nass und rutschig, die Hände eiskalt wie die Eisenkette. Jede Minute die man hier rumsteht kühlt der Körper aus. Bibbernd stehen wir in der Schneise.

Ich bin froh als ich endlich an der Reihe bin. Ich werfe meine Wanderstöcke hinunter und hangel mich hinab. Wenig später kommt schon das nächste Problem. Auf dem Bauch muss man durch ein enges Loch im Fels rutschen. Doch darin steckt gerade ein Wanderer mit seinem Rucksack fest. Als er hochschaut, erkenne ich ihn. Wir hatten uns am ersten Abend kennengelernt und dann aus den Augen verloren.
Ich gehe meinem fluchenden Mitwanderer zur Hand und bald können wir weitergehen.

20 Minuten später klart der Himmel endlich auf. Das war mit das kritischste Wetter, das ich bislang in den Bergen erlebt hatte. Jetzt kann ich wieder aufatmen.

Erleichtert steige ich im Nebel ab und komme gegen Mittag an der Pietra Piana Hütte an. 

Bei dem Wetter sieht das Refuge sehr uneinladend aus und ich habe keine Lust den ganzen Tag im Zelt zu hocken. Also beschließe ich erneut eine Doppeletappe zu laufen.

Von Pietra Piana gibt es zwei Wege zur Onda Hütte. Ein Weg führt über den Gebirgskamm, der andere durch das Tal. Bei schlechtem Wetter wird von letzterem abgeraten. Nach dem gerade erlebten Drama fällt die Wahl leicht. Und so trotte ich gemütlich bergab.

Das Wetter wird immer besser bis die Sonne richtig knallt. Auf Waldwegen geht es weiter vorbei an einer kleinen Bergerie und traumhaften natürlichen Pools.

Aber wenn ich einmal im Laufmodus bin, fällt es mir schwer anzuhalten also ziehe ich weiter. Der extreme Vormittag und der Wechsel von eiskalten zu heißen Temperaturen haben mich komplett erledigt und ich schleppe mich widerwillig die letzten Kilometer hinauf zum Refuge.
Nur der Gedanke an die dortige Lasagne hält mich in Bewegung. Die soll angeblich besonders gut schmecken.

Die  Hütte ist traumhaft gelegen. Obwohl ich eine Doppeletappe gelaufen bin, verzichte ich auf eine Dusche. Der Andrang ist mir einfach zu groß. Ich baue mein Zelt auf und wasche mich alibimäßig mit Wasser ab. Ungeduldig warte ich auf das Abendessen, das in der Hütte serviert wird.

Corona scheint hier niemanden zu interessieren. Maskenlos sitzen alle Schulter an Schulter am Tisch, die Scheiben der Hütte sind beschlagen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt dann endlich die berüchtigte Lasagne. Was für eine Enttäuschung! Brokkoli-Lasagne, die noch dazu null gewürzt ist. Hunger habe ich  genug, um sie aufzuessen aber empfehlen würde ich sie nicht. Ich esse schnell auf und verkrieche mich unzufrieden in meinem Zelt. Der ganze Trubel und die anderen Wanderer gehen mir auf die Nerven.

Vor meinem Zelt wird sich noch über die Nahtod-Erfahrung vom Vormittag ausgetauscht („Ich dachte, ich sterbe“). Das war aber auch wirklich krass!

Tag 7 – Etappe 9 – Onda bis Vizzavona (10,5 km, 700 Hm↑ 1200 Hm↓)

Die ganze Nacht hat der Wind mein Zelt malträtiert und ich bin von dem lauten Flattern immer wieder wach geworden. Dafür werde ich am Morgen von einer friedlichen Morgensonne begrüßt.

Die Etappe startet mit einem traumhaften Aufstieg bis zum Punta Muratellu (2141m).

Dem höchsten Punkt folgt ein langer, langer Abstieg. Anfangs balanciert man auf steilen Felsplatten hinab und ich bin froh, dass heute wieder alles trocken ist.

Das Wetter und die Aussicht sind gut. Nach und nach tauche ich in waldiges Gelände ab. Langsam bin ich reif für die Hütte. 

So sieht der Pfad des GR 20 im Norden aus: steinig! Man muss auf seine Knöchel aufpassen. Vor allem bei stundenlangen Abstiegen wie diesem. 
 

Das Ende der Etappe führt an der Cascade des anglais vorbei, einem kleinen Wasserfall, der von natürlichen Pools umgeben ist. Hier treffe ich auf einige Tageswanderer. Vizzavona ist die erste Ortschaft, die ich nach einer Woche betreten werde und ich bin sehr gespannt, was mich erwartet.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich endlich den heißersehnten Ort und bin mehr als ernüchtert. Statt einem pulsierenden kleinen Urlaubsort treffe ich auf drei verwaiste Häuser, einen Zeltplatz und ein Hotel. Es ist original NICHTS los.

Immerhin, komme ich als erster auf dem Zeltplatz an und kann in Ruhe mein Zelt aufbauen, duschen und essen. Und man glaubt es kaum aber auf der Toilette klebt ein Aufkleber vom Bouldergarten, wo ich in Berlin jede Woche klettere!

Hier salutiert der sympathische Kollege, den ich am Vortag noch durch eine Felsspalte gedrückt habe. Er hat leider seine Zeit auf dem GR 20 zu knapp kalkuliert und muss nun fast jeden Tag Doppeletappen laufen. Mittlerweile mit zwei einbandagierten Knien. Überhaupt sind in den letzten Tagen immer mehr Bandagen, Orthesen und Tapes auf Wanderbeinen aufgetaucht. Der steinige Norden fordert seinen Tribut.

Nach und nach trudeln immer mehr Wanderer ein bis der Platz komplett voll ist. Die Stimmung ist feierlich. Immerhin haben wir nun nicht nur die Hälfte sondern auch den härtesten Teil des GR 20 hinter uns.

Tag 8 – Etappe 10 – Vizzavona bis Capanelle (16 km, 900 Hm↑ 500 Hm↓)

Meine Beine sind schwer vom gestrigen Abstieg als ich morgens Vizzavona hinter mir lasse. Durch waldiges Gelände geht es vorerst nur bergauf.

Nach 2, 5 Stunden erreiche ich Bocca Palmente (1640 m), den höchsten Punkt der Etappe. Ein guter Ort für ein Päuschen mit Aussicht.

All aboard the hiking train! Manchmal ist es gut sich mitziehen zu lassen und so hänge mich an diese Gruppe französischer Wanderer, die mit sehr strammer Geschwindigkeit unterwegs sind.
Seit heute habe ich starke Schmerzen in meinem linken Fuß und bin froh als ich die Hütte erreiche. Eigentlich hatte ich überlegt eine Doppeletappe zu laufen aber die Schmerzen, gepaart mit aufziehendem Unwetter stimmen mich um.

Vor der Hütte sitzen ein paar Ultra-Runner Bro’s, die sich lautstark unterhalten und immer wieder Songs anstimmen. Super nervig! #toxicmasculinity. 

Ich habe mein Zelt gerade aufgebaut als brutaler Regen einsetzt, wie ich ihn lange nicht erlebt habe. Ich flüchte in die Hütte wie alle anderen Wanderer auch. Der Laden ist voll bis Kante. Corona oder Regen? Ich entscheide mich für Corona. Draußen ist es einfach zu ungemütlich. Mittlerweile sind die Temperaturen drastisch gesunken. So bleibe ich den ganzen Tag auf der Hütte. Erst nach dem Abendessen verkrieche ich mich in mein Zelt. Es hat seit dem Mittag ohne Unterlass geregnet und eine Ende scheint nicht in Sicht zu sein. 

Und ich dachte, dass ich nun den schlimmsten Teil hinter mir hätte…

Fazit

Mittlerweile habe ich mich eingegrooved. Ich bin meine ersten Doppeletappen gelaufen und habe mich durch massives Unwetter gearbeitet. Ich fühle mich sattelfest und schaue zuversichtlich gen Süden. Die Aussicht mir nach den Strapazen des Nordens ein paar Strandtage zu gönnen, motiviert mich die Geschwindigkeit im Süden hochzufahren. Ich bin gespannt, was mich erwartet! 

Unterwegs auf dem GR 20

Teil 1 – Organisation, Kosten, Vorbereitung
Teil 2 – Die ultimative Packliste
Teil 3 – Von Calenzana bis Tighjettu
Teil 4 – Von Tighjettu bis Capannelle
Teil 5 – Von Capannelle bis Conca

*Partnerlink

(Visited 809 times, 1 visits today)
Tags from the story
, , , , ,
Written By
More from Fabian
Mit dem Fahrrad zum Südpol
Eric Larsen ist schon eine ziemlich coole Sau (get it?). 2010 bezwang er...
Read More
Join the Conversation

1 Comments

Leave a comment
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*