Der GR 20 – Von Capannelle bis Conca

Tag 9 – Capanelle bis Prati – Etappe 11 (17 km, 890 Hm↑ 600 Hm↓)

Es hat die ganze Nacht durchgeregnet. Als ich morgens aus meinem Zelt stolpere, sehe ich, dass sich eine dicke Schlammschicht zwischen Footprint und Zelt geschoben hat. Wenn ich das so zusammenfalte, kann ich locker drei Kilo mehr schleppen. Ich versuche den Schlamm mit Wasser zu beseitigen, was mir mehr schlecht als recht gelingt.

Immerhin scheint heute wieder die Sonne. Ich stopfe meine nassen Sachen in den Rucksack und ab geht die Post. 

Auf schönen Pfaden geht es gemütlich gen Süden.

Ich tauche in einen Wald ab, wo ich zeuge davon werde, wie ein Wanderer bei einer Flussüberquerung auf dem Rücken landet wie ein Käfer. Ich kann mir das Lachen gerade so verkneifen.

Schon bald habe ich die traumhaft gelegene Prati Hütte erreicht.

Ich verteile meine nassen Sachen auf der Wiese und warte bis mein Zelt halbwegs trocken ist, um die Schlammreste zu entfernen. Nebenbei freunde ich mich mit dem lokalen Hüttenhund an.
Anschließend nehme ich in einem urigen Holzverschlag eine kalte Dusche.

Nach dem Abendessen verkrieche ich mich in mein Zelt.

Auf der Hüttenterrasse sitzt eine Gruppe betrunkener Belgier, die den Kanon „Theo, spann den Wagen an“ auf deutsch und französisch anstimmen (Vent frais, Vent du matin).

Das ist die ersten fünf Male noch halbwegs amüsant aber beim 93. Mal möchte ich die Truppe einfach nur die Klippe hinunterstoßen.

Tag 10 – Etappen 12 & 13 – Prati bis Asinau (29,4 km, 1640 Hm↑ 1950 Hm↓)

Frisch wie der Morgentau, steige ich aus dem Zelt. Ein traumhafter Tag kündigt sich an.

Hier grast friedlich ein Pferd. Am Vortag sah das noch ganz anders aus. Da war hier ein ganze Herde Wildpferde, die um und durch den Zeltplatz galoppiert sind und sich teilweise laut wiehernd bekämpft haben. Ein beeindruckendes Spektakel.

Die Sonne steigt auf und ich tue es ihr gleich.

Angeblich befinden sich die Highlights des GR 20 im Norden. Aber heute ist eine meine Lieblingsetappen. Streckenweise kann ich das Meer auf beiden Seiten der Insel sehen.

Ein Teilstrecke laufe ich mit diesem Franzosen, der im letzten Jahr den Weg von Süd nach Nord gewandert ist und in diesem Jahr mit seinem Bruder von Nord nach Süd geht. Es gibt so viele Wanderwege auf der Welt. Da würde ich nicht auf die Idee kommen, denselben Weg zweimal zu gehen aber jedem Tierchen sein Pläsierchen.

Der Beweis, dass nicht nur im Norden gekraxelt werden muss.  Hier geht der Weg einfach steil eine Felsplatte hinauf:

Nach zirka vier Stunden erreiche ich die Usciolu-Hütte, die in einem kleinen Felskessel liegt. Auch hier stehen ein paar Pferde herum. Der Hüttenwart erzählt mir, dass er in dieser Saison sechs Monate im Refuge bleibt ohne abzusteigen. Und auf dieser Hütte ist echt nicht viel los. Das wär nix für mich.

Ich bin schon nach einer halben Stunde wieder unterwegs. Heute habe ich zwar keine Doppeltetappe angepeilt aber ich möchte eine Bergerie ansteuern, die noch ein paar Gehstunden entfernt liegt.

Gemütlich spaziere ich vor mich hin und genieße die schöne Natur. Um zur Bergerie zu gelangen, muss ich eine Variante laufen. Ab jetzt gibt es keine Markierungen mehr. Ich bin nach längerer Zeit mal wieder komplett alleine.

Die Zeit vergeht aber weit und breit ist keine Hütte in Sicht. Bald geht mir auch mein Wasser aus. Natürlich habe ich Saudurst. Langsam bekomme ich das ungute Gefühl, mich verlaufen zu haben.

Als ich gerade steil ein Waldstück hinaufkraxle, treffe ich endlich auf andere Menschen. Drei Jungs, die in ihren modernen Wanderoutfits eher aussehen wie das Seal Team Six. Das Trio erklärt mir, dass ich meine anvisierte Bergerie schon hinter mir gelassen hätte und mich jetzt auf dem Weg zur nächsten Hütte befände. Also doch wieder eine Doppeletappe!

Diese wird heute besonders knackig. Denn ich bin noch lange nicht da. Immerhin komme ich an einer Wasserquelle vorbei und wenig später tauchen die Markierungen für den GR 20 auf. Ich kann unbeschwert weiterlaufen.

Ich bin schon 11  Stunden unterwegs als ich einige hundert Meter unter mir endlich die Hütte sichte. Es folgt ein ewig langer, steiler und steiniger Abstieg.

Dann stehe ich endlich vor dem Hüttenwart. Der teilt mir mit, dass so gut wie alle Plätze belegt sind und fragt mich leicht abschätzig, warum ich so spät käme. Ich sag ihm, dass ich eine Doppeletappe von Prati gelaufen bin, worauf er gleich freundlicher wird und mir einen Platz unterhalb der Hütte zuweist.

Ich habe ehrlich gesagt null Bock auch nur noch einen einzigen Meter bergab zu laufen (vor allem weil die sanitären Anlagen auf Hüttenhöhe sind) aber was willste machen. Leider finden sich auch keine Freiwilligen, die mein Zelt aufbauen. Alles muss man alleine machen. Naja…

Irgendwoher nehme ich sogar noch die Energie meine Kleidung und mich selbst zu waschen.

Tag 11 – Etappen 14 & 15 – Asinau bis Conca (24 km, 994 Hm↑ 2255 Hm↓)

Nach einer windigen Nacht stehe ich mit dem ersten Hahnenschrei auf. Heute steht zur Abwechslung eine geplante Doppeletappe auf dem Programm. Denn, wenn ich es heute durchziehe, bin ich schon am Ziel! Also noch einmal alles geben. Anschließend habe ich genug Zeit mich am Strand auf die faule Haut zu legen.

Im Morgengrauen geht es ein kurzes Stück bergab. Zur nächsten Hütte gibt es zwei Varianten. Eine etwas kürzere aber anspruchsvollere über den Gipfelkamm und eine längere flache Umgehung.

Wenig später treffe ich auf drei Männer. Ein Wanderer liegt in einer Heizdecke auf dem Weg. Er ist umgeknickt, hat sich am Bein verletzt und kann nicht mehr gehen. Ein Rettungshubschrauber ist schon unterwegs.

Die nächste halbe Stunde sehe ich wie der Hubschrauber immer wieder über das Tal kreist. Er kann die Wanderer scheinbar nicht finden. Ich gehe derweil durch waldiges Gelände und suche nach der Abzweigung, die mich auf den Gipfelkamm führen soll.

Irgendwann muss ich mir eingestehen, dass ich diese wohl schon verpasst habe und muss nun die längere, flache Umgehung wandern. Mist!

Am Vormittag höre ich auf einmal komische Geräusche. Klingt fast wie Autos! Und tatsächlich stehe ich erstmalig seit Beginn der Wanderung vor einer befahrenen Straße. In dem Dorf Bavella gibt es Cafés, ein Hotel und einige Tageswanderer. Also nix wie weg hier!

Am Ende des Ortes tauche ich wieder ab in den Wald und erreiche knappe zwei Stunden später das Refuge Paliri. Hier treffe ich auf bekannte Gesichter, die mich erstaunt begrüßen. Die dachten scheinbar, dass sie mich schon abgehängt hätten. Aber au contraire mon frère. So leicht wird man mich nicht los.
Wenig später erfahre ich, dass der Hubschrauber, den verletzten Wanderer vom Vormittag glücklicherweise nach langer Suche doch noch aufgelesen hat. 

Nach einer schattenlosen Pause, fülle ich meine Trinkblase auf und dann geht es auf die Zielgerade.


Der Großteil der Etappe verläuft durch die pralle Sonne. Das ist bestimmt kein Problem, wenn man zeitig loszieht aber wer eine Doppeletappe geht, bekommt die brutale Mittagshitze gnadenlos auf den Deckel.

Früher als erwartet geht mir das Wasser aus. Mir flimmert es schon vor den Augen aber das Ziel ist weit und breit nicht zu sehen. Gemeinsam mit einem Mitwanderer aus Marseille taumeln wir durch ein zackiges Felslabyrinth. Egal in welche Richtung man schaut, weder Meer noch Zivilisation ist in Sicht. Wir werden lebendig gegrillt. 

So schleppen wir uns wie Gestrandete weiter. Meine Kopf ist heiß, meine Zunge ist trocken und meine Füße glühen. Ich bin reif für das Ziel.

Wir haben die Hoffnung schon fast aufgegeben als wir ein felsiges Nadelöhr passieren. Dann führt der Weg endlich bergab.

Wenig später kommen uns Tageswanderer entgegen. Als sie uns als GR 20-Wanderer identifizieren, klatschen sie und gratulieren uns überschwänglich zu unserer Leistung. LOL.

Der Pfad endet wenig spektakulär an einer Asphaltstraße. Wenn man dieser ein paar hundert Meter folgt, steht man auf einem kleinen Platz mit diesem hässlichen Schild und einer noch hässlicheren Werbung drüber. Aber egal. Geschafft!!!

Die Hitze auf den letzten Kilometern hat mir heute extrem zu schaffen gemacht, wie man hier schön sehen kann. Ich bin völlig erledigt. 

Mit der abgebildeten Truppe Franzosen laufen wir die letzten Meter zu einem kleinen Campingplatz. Ich schmeiß meinen Rucksack auf den Boden und gehe erstmal 8 Liter Wasser trinken. Aber als ich zurückkomme hat eine Katze auf mein Zelt gepinkelt! Das gibt’s doch nicht.

Trotz Reinigungsversuchen bleibt der Gestank unerträglich. Na toll.

Aber es kommt noch schlimmer. Teile der Truppe, mit der ich angekommen bin, haben sofort angefangen zu saufen. Noch bevor sie sich geduscht oder ihre Zelte aufgebaut haben, sind sie sternhagel voll, stimmen schräge Lieder an, schreien herum und übergeben sich.

Die unerträgliche Ballermann Stimmung trübt leider den erfolgreichen Abschluss dieser wunderschönen Wanderung etwas und ich kann es kaum erwarten die Idiotentruppe am nächsten Morgen hinter mir zu lassen.

Ruhe und Erholung am Strand von Pinarellu & Rückreise

Im Internet habe ich am Abend nach dem nächstgelegenen Zeltplatz gegoogelt. Ich hatte geplant diesen am nächsten Morgen per Autostopp anzusteuern aber frecherweise nimmt mich keiner mit!

Egal. Die 1,5 Stunden Fußmarsch machen mir nach dieser Tour auch nichts mehr aus. Und so erreiche ich das Meer aus eigener Körperkraft. Der Zeltplatz ist angenehm ruhig und der Strand von Pinarellu traumhaft schön.

Glasklares Wasser und entspannte Stimmung mit vielen Familien und wenig Gepose.

Im lokalen Shop decke ich mich mit Leckereien ein. Obst, Gemüse, Chips, Pizza. So kann man es aushalten.

Die nächsten Tage pendel ich barfüßig zwischen Strand und Zeltplatz hin und her. 

Stundenlang liege ich auf meiner Thermarest vor dem leider immer noch miefigen Zelt, lese den tausendseitigen (sehr empfehlenswerten) Western Lonesome Dove * , schiebe mir frische Aprikosen in den Mund und spiele online Schach. 

Living the good life!

Aber auch der schönste Urlaub geht einmal zu Ende. 

Mit dem Bus fahre ich die an der Küste entlang zurück nach Bastia. Da ich dort keine bezahlbare Unterkunft finde, übernachte ich auf einem Zeltplatz, der etwas außerhalb der Stadt liegt. Am nächsten Tag geht es zurück ins graue Berlin. Au revoir GR 20! 

FAZIT

Der GR 20 ist ein traumhaft schöner, anspruchsvoller Fernwanderweg. Der härteste Wanderweg Europas ist es eher nicht. Dafür ist er zu kurz.
Unterschätzen sollte man ihn aber auch nicht. Es muss eine Menge gekraxelt werden und das Wetter kann auch im Sommer heftig umschlagen.

Ich hatte nicht erwartet, dass Korsika so eine schöne Insel ist. Wo sonst findet man alpines Gelände und türkisblaue Strände so dicht beieinander?

Leider ist der GR 20 schon lange kein Geheimtipp mehr. Er genießt vor allem bei Franzosen Kultstatus und dementsprechend voll kann es auf den Hütten werden. Zuweilen hat das zu ballermannartigen Zuständen geführt, auf die ich in meinem Wanderurlaub gerne verzichtet hätte.

Auf dem Weg verläuft es sich zum Glück, so dass man trotzdem eine schöne Zeit bei der Durchschreitung Korsikas haben kann. 

Unterwegs auf dem GR 20

Teil 1 – Organisation, Kosten, Vorbereitung
Teil 2 – Die ultimative Packliste
Teil 3 – Von Calenzana bis Tighjettu
Teil 4 – Von Tighjettu bis Capannelle
Teil 5 – Von Capannelle bis Conca

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