Der GR 20 – Von Calenzana bis Tighjettu

Anreise

Ich trete aus dem Flughafengebäude in Bastia und blinzle in die korsische Sonne. Um mich herum registriere ich weitere Passagiere mit Bergschuhen und Wanderrucksäcken. Scheinbar bin ich nicht der einzige, der vor hat den GR 20 zu gehen. Aber zunächst gilt es zum Ausgangsort kommen. Nach etwas planlosem hin und her, stecke ich die Köpfe mit ein paar anderen Deutschen zusammen. Allerdings wollen die den Weg von Süd nach Nord laufen und müssen nun erstmal nach Conca. Typisch deutsch, immer alles anders machen wollen.

Ich frage mich weiter durch und erfahre, dass ich mit dem Taxi zum nächstgelegenen Bahnhof muss, um von dort weiter nach Calvi zu fahren. Nun sind wir viele Wanderer für sehr wenige Taxis. Hinzukommt, dass die Taxifahrer aus „Pandemiegründen“ nur Einzelfahrten machen wollen. Ich denke es sind vor allem monetäre Gründe.

Am Taxistand erblicke ich eine junge Dame im Wanderoutfit, wir sprechen uns kurz ab und sagen dem nächsten Taxifahrer, dass wir ein Paar sind, so dass er uns widerwillig beide mitnimmt. Auf der Fahrt erfahre ich, dass meine angebliche Freundin Franzi heißt und aus Neukölln kommt. Die Welt ist klein. Es folgt eine Bahnfahrt durch traumhafte Berglandschaften. Staunend und mit nervöser Vorfreude schauen wir aus dem Zugfenster. Franzi bucht sich unterwegs einen Platz in demselben Hostel wie ich. Dieses liegt auf einer Anhöhe über Calvi mit einwandfreier Aussicht auf das Meer. Noch einmal schlafen. Dann geht’s los!

Tag 1 – Etappe 1 – Von Calenzana bis Ortu di u Piobbu (11,9 km, 1500 hm ↑)

Es ist der 8. Juli und voller Vorfreude springen wir aus dem Bett. Zunächst geht es hinunter in die Stadt, wo wir uns Bargeld und Snacks holen. Von Calvi nach Calenzana kommt man nur mit dem eigenen PKW, zu Fuß (circa 11 km) oder per Autostopp.
Wir entscheiden uns für letzteres und werden kurze Zeit später von einem freundlichen Insulaner aufgelesen und mit aufmunternden Grüßen in Calenzana verabschiedet.

Jetzt wird es Ernst! Es ist schon nach 12 und die Sonne brennt. Nach dem obligatorischen „Vorher“-Bild betreten wir endlich den legendären GR 20 – Pfad!
Heute geht es nur bergauf. Dankenswerterweise führen die ersten Kilometer durch schattigen Wald.

Das Wetter ist so gut wie unsere Laune als wir uns immer weiter den Hang hochschrauben. Als wir nach zwei Stunden eine erste Pause am Wegesrand machen, kommt uns ein Süd-Nord-Wanderer entgegen und sagt „Jetzt macht ihr schon eine Pause?!“. Was will der denn? Ich kann doch so langsam gehen wie ich möchte. Aber wir haben scheinbar noch einiges vor uns.

Die Aussicht wir mit jedem Höhenmeter besser. Mein Rucksack ist zwar recht schwer aber soweit läuft es sich sehr gut.

Nach einer kurzen Pause auf einem Plateau, geht es weiter bergauf. Jetzt gibt es ab und an schon etwas anspruchsvollere Passagen zu überwinden. Nichts übermäßig schwieriges aber eine Wandererin kommt beim Runterhangeln an einer Kette schon an ihre Grenze. Mit viel gutem Zureden von Mitwanderern meistert sie die Passage schließlich doch.

Der Tag schreitet voran aber das Ziel kommt irgendwie nicht näher. Franzi und ich sind schon reichlich platt als wir in sehr weiter Ferne auf der anderen Seite einer Schlucht eine winzige Hütte entdecken. Das kann doch nicht unsere Hütte sein, oder? Das sieht aus wie ein ganzer Tagesmarsch, den wir gefühlt schon hinter uns haben.
Tja, scheinbar doch. Da Franzi bislang in gemütlichen Tempo voraus gelaufen ist, schlage ich vor die Vorhut zu übernehmen und ziehe zügig los.

Als ich mich nach einer halben Stunde umdrehe, ist Franzi nicht mehr zu sehen. Ich warte 10 Minuten aber sie taucht nicht auf. Ich denke, dass sie vielleicht eine weitere Pause eingelegt hat und ziehe weiter bis ich am frühen Abend die Hütte erreiche. Hier herrscht schon geschäftiges Treiben. Überall stehen Zelte und ich muss eine Weile suchen, bis ich einen geeigneten Platz finde.

Doch als ich mein Zelt aufbaue, merke ich, dass es dort nur so vor Ameisen wimmelt. Bald ist mein ganzer Rucksack voll. Ich ergreife die Flucht und stelle mein Zelt an einem mittelguten aber ameisenfreien Standort auf. Nach 1,5 Stunden taucht dann doch noch Franzi in desolatem Zustand auf. Sie musste sich übergeben (Sonnenstich oder Lebensmittelvergiftung) und war gezwungen mehrfach zu pausieren.
Gemeinsam essen wir an einer Kochstation und hoffen, dass der nächste Tag entspannter wird.

Tag 2 – Etappe 2 – Ortu di u Piobbu bis Carrozzu (7 km – 780 hm ↑ 918 hm ↓)

Ab jetzt möchte ich zeitig starten. Gegen 6.30 Uhr bin ich startklar. Ich suche auf dem Gelände nach Franzis-Zelt. Da sie noch schläft, ziehe ich alleine los.

Die heutige Etappe ist nur schlappe sieben Kilometer lang, im Reiseführer wird die Gehzeit aber mit sieben Stunden angegeben. Eine Stunde pro Kilometer!

Schnell merke ich auch warum. Auf schmalen, windigen Pfaden tauche ich tief ein in die korsische Bergwelt.

Das herrliche Panorama sollte man lieber im Stehen genießen. Beim Gehen hat man besser seine Füße im Auge. Denn wenn es Wege gibt, sind sie sehr steinig.

Mit meinem Rucksack muss ich mich in engen Passagen durch felsige Nadelöhre pressen.

Regelmäßig muss ich heute meine Hände einsetzen. Denn nicht selten kraxelt man über Stellen, an denen es gar keinen richtigen Weg gibt, sondern lediglich eine auf Fels gemalte GR 20 Markierung.
Immerhin, fällt einem die Orientierung leicht.

Nach einem langen Abstieg in der Sonne erreiche ich am frühen Nachmittag die Carrozu – Hütte. Obwohl ich einer der ersten bin, stehen schon unzählige Leihzelte herum und ich muss ein wenig Suchen, bis ich einen geeigneten Platz finde.

Dafür komme ich schnell an eine freie Duschkabine. Später am Nachmittag müsste man dafür lange anstehen, denn die Hütte und Umgebung sind voll wie auf einem Musikfestival. Viel zu viel Trubel für meinen Geschmack.
Dazu kommt, dass mein Zelt hinter den sanitären Einrichtungen steht, so dass leichter Kloake Geruch herüberweht.

Tag 3 – Etappe 3 – Carrozzu bis Station d’Ascu Stagnu (6km – 790 hm↑ 640 hm ↓)

Deshalb bin ich auch nicht traurig früh am nächsten Morgen weiterzuziehen. Die Etappe ist heute kurz und das Wetter noch angenehm.

Doch als ich gerade diese Mondlandschaft hinaufkraxle, spüre ich wie mein Rückem immer nasser wird. Dabei ist es noch gar nicht so warm. Schnell stellt sich heraus, dass meine Trinkblase ein Leck hat. So ein Mist! Die Etappe hat gerade erst begonnen. Einen Teil des verbliebenen Wassers kann ich zum Glück noch in meine leere 0,8 Liter Wasserflasche umfüllen.

Die Etappe ist kurz aber knackig.

Netzempfang hat man häufig nur auf dem Grat.

Noch am Vormittag komme ich als einer der ersten in der Hütte an. Ich suche mir ein schönes Plätzchen für mein Zelt, dusche und wasche ein paar Sachen. Gegenüber von der Hütte gibt es ein kleines Bistro, wo ich tatsächlich eine neue Trinkblase kaufen kann.

Den Rest des Tages entspanne ich mich und lerne Mitwanderer verschiedener Nationalität kennen. Am Abend steht dann das Finale der Fußball-Europa Meisterschaft auf dem Programm. Da ich sehr müde bin und am nächsten Tag eine anstrengende Etappe ansteht, gehe ich tatsächlich nach der ersten Halbzeit ins Bett.

Tag 4 – Etappe 4 -Station d’Ascu Stagnu bis Tighjettu  (16,1 km – 1200 hm ↑ 1050hm ↓ exkl. Variante auf Monte Cinto 2706m)

Ich bin überrascht am Morgen zu erfahren, dass Italien Europameister geworden ist. Heute starte ich wieder mit Franzi in den Tag. Dieser beginnt flach und wird zunehmend steiler und felsiger.

Bald habe ich meinen Rhythmus gefunden. Ich lasse Franzi in ihrem Tempo weiterlaufen und steige zügig auf.

Ich passiere einige Wandergruppen, die sich an einigen seilversicherten Passagen auch mal stauen. Heute werden wieder Hände und Füße benötigt.

Immer weiter geht es hinauf. An kleinen Schneefeldern vorbei bis ich am frühen Vormittag die Pointe des Eboulis erreiche (2607m). Von hier aus kann man eine einen Abstecher auf den höchsten Gipfel Korsikas, den Monte Cinto (2706m) machen. Das hatte ich eigentlich nicht eingeplant. Aber da das Wetter gut ist und es noch so früh am Tag ist, entscheide ich mich spontan dafür. Ich deponiere meinen schweren Rucksack an einem Felsen und ziehe nur mit einer Wasserflasche bewaffnet los.

Der Weg auf den Monte Cinto ist nochmal deutlich kraxeliger und exponierter als der Rest der Etappe. Bei schlechtem Wetter würde ich definitiv von einem Abstecher abraten. So aber kletter ich bis auf dem Gipfel, wobei ich immer wieder nach dem Weg suchen muss, der nicht ganz so gut markiert ist.
Der Gipfel lädt nicht zum Verweilen ein. Es ist sau windig und das Wetter leicht diesig, so dass die Aussicht begrenzt ist.

Nach dieser circa 45 minütigen Variante (in sehr zügigem Tempo), stehe ich wieder auf der Pointe des Eboulis. Jetzt folgt der lange und steile Abstieg zur Tighjettu-Hütte. Leider in praller Sonne. Mein kleiner Umweg auf den Monte Cinto, hat mich einige Kraft gekostet und dazu geführt, dass ich meine 3 Liter Wasserblase schon frühzeitig leer gesüffelt habe.

Jetzt knallt die Sonne, ich habe extremen Durst. und die Hütte ist weit und breit nicht zu sehen, obwohl ich uneingeschränkte Sicht ins Tal habe.

Ich schleppe mich mühsam bergab und entdecke ein kleines Rinnsal, dass den Hang hinunter fließt. Ich hab keine Ahnung, ob das Wasser trinkbar ist aber ich habe so einen Durst, dass ich mir das kühle Nass ungefiltert ins System schütte. Danach geht es mir etwas besser.
Weiter unten nehme ich noch ein erfrischendes Fußbad in einem natürlichen Pool. Dann entdecke ich die Hütte, die etwas versteckt rechts über dem Weg am Hang steht. ENDLICH! Ich bin so K.O. wie lange nicht mehr. Die Sonne und die dünne Höhenluft haben mich heute wirklich erledigt. Ich muss ein wenig suchen, bis ich zwischen den ganzen Leihzelten einen geeigneten Platz finde.

Die Hütte hat einen interessanten Standort eng am Hang mit Sicht auf die Schlucht aber die sanitären Anlagen lassen zu wünschen übrig.
Es gibt nur zwei Plumpsklos und zwei Duschen. Bei einer Dusche UND bei einer Toilette ist das Türschloss kaputt. Es sind bestimmt 80 Leute auf der Hütte….Ich lege wirklich keinen Wert auf Luxus oder Komfort aber wenn es schon nur zwei Toiletten und Duschen gibt, könnte das Hüttenpersonal aus meiner Sicht wenigstens in der Lage sein zwei Türen zu reparieren.

Fazit

Aller Anfang ist schwer. Die nördlichen Etappen des GR 20 sind bekannt dafür, steil und kraxelig zu sein. Man sollte sich daher von der geringen Kilometerzahl nicht täuschen lassen. Je nach Fitness-Level ist es zwar möglich Etappen zu doppeln oder zu trippeln aber ich würde Normalsterblichen Wanderern, die mit eigenem Zelt unterwegs sind auf jeden Fall empfehlen, für die ersten vier Etappen auch vier Tage einzuplanen. Man bekommt ein gutes Gespür für das Gelände und der Körper hat Zeit sich an die Belastung zu gewöhnen. Anschließend hat man immer noch Zeit das Tempo zu erhöhen.
Landschaftlich ist der Weg wirklich traumhaft und durch die Kraxelei wird einem nicht langweilig. Die Attraktivität des Weges macht sich aber leider auch durch überfüllte Hütten bemerkbar.

Unterwegs auf dem GR 20

Teil 1 – Organisation, Kosten, Vorbereitung
Teil 2 – Die ultimative Packliste
Teil 3 – Von Calenzana bis Tighjettu
Teil 4 – Von Tighjettu bis Capannelle
Teil 5 – Von Capannelle bis Conca

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