Etappen 19 bis 22
Tag 19 – Ceillac nach Maljasset
Heute steht eine relativ kurze aber steile Etappe über einen der höheren Pässe Col Girardin (2706 m) auf dem Programm.
Die Muskeln sind ausgeruht, der Kopf ist frei und die Sonne scheint. Andiamo oder eher „marchons, marchons“!
Na, ist das schön? Sieht aus wie ein Gemälde.
Nach einem schweißtreibenden Aufstieg erreiche ich den Lac Mirroir (2214 m). Und der Name ist Programm!
Doch als ich gerade wieder aus dem Staunen rauskommen möchte, stehe ich wenig später schon vor dem nächsten Knaller, dem Lac Ste. Anne (2415 m). Da kann die Kinnlade gleich unten bleiben. Diese Farbe!
Durch Murmeltierland geht es weiter.
R.I.P. GR 5.
Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten…
Und dieses Dorf ist Maljasset. Und der Abstieg dorthin sausteil.
Der Ort liegt im traumhaften Vallon de Maurin.
Erster! Wie immer bester Platz, unten neben der Tür. Die Nachbarn kann man sich leider nicht aussuchen.
Leider habe ich dieser tollen Etappe nicht die Zeit gegeben, die sie verdient hätte und bin wie immer vorangeprescht wie ein Gejagter.
Aber da die Schlafsituation ungewiss war, wollte ich nichts riskieren. Jetzt habe ich noch einen halben Tag und beschließe mich ein wenig in der Umgebung umzusehen.
Fun Fact: In meinem früheren Leben war ich Indianer und bin mit so einem Pinto durch die Prärie gebrettert.
Simplement magnifique!
Ein wahrlich malerisches Fleckchen.
Dieser Hund war ungefähr so groß wie ein Eisbär und hat meistens vor der Hütte gelegen und gepennt. Aber sobald man einen Schritt zu nah, kam hat er halbherzig aber laut gebellt.
Auf dem zweiten Abschnitt des GR 5 habe ich nun auch schon einige nette Leute kennengelernt und beim Abendessen mache ich Bekanntschaft mit zwei weiteren sympathischen Fernwanderprofis.
Tag 20 – Maljasset nach Larche
Der Tag beginnt mit einem langen Marsch über eine Asphaltstraße. Einige Wanderer beschließen sich diesen Teil zu sparen und per Shuttle in die Berge zu fahren.
Das einzige Auto, dass ich betreten würde, wär ein Krankenwagen. Aber da mein Zustand (noch) nicht kritisch ist, stiefel ich los.
Und ich bereue es definitiv nicht. Je ne regrette rien, wie Edith Piaf sagen würde. Für mich ist die Strecke durch das Vallon de Maurin das Highlight der Etappe. Ein sehr friedlicher Ort.
Was ich an Frankreich im Gegensatz zu Deutschland so Liebe, ist der Sinn für das Schöne. In Schland wird alles nur nach Funktionalität gebaut. Und deswegen sieht es halt meistens nicht aus.
Aber man kann halt auch schöne Treppengeländer, Zäune, Türklinken, Fenster, Häuser, Klamotten machen… Schade eigentlich.
Eine Brücke wie aus einem Fantasy-Roman.
Ich passiere das blumige Fouillouse.
Und verlaufe mich kurze Zeit später aufgrund irreführender Beschilderung im Wald. Ätzend, da die Etappe heute sowieso schon recht lang ist. Ich kämpf mich durch Gestrüpp und Wege, die im Nichts verlaufen in der Hoffnung doch noch zum echten Pfad durchzuschneiden aber muss schlussendlich alles wieder zurücklaufen. Arrrgh!
Und täglich grüßt das Murmeltier. Und das meine ich wörtlich. Ich habe noch nie so viele Murmeltiere gesehen wie auf dem GR 5. Der Weg muss komplett untertunnelt sein.
Heute nerven sie mich aber weil sie einfach nicht aufhören zu piepsen. Wie mobile Wecker.
Große Teile des GR 5 und des GR 52 laufen entlang alter Militärpfade und Grenzlinien. Immer wieder sieht man alte Bunker oder auch Baracken. Wie hier die Baraquements de Viraysse.
Der Abstieg nach Larche ist brutal lang und ich habe zunehmend Schmerzen in der rechten Plantarfaszie. Ich hab mir schon eine Einlage aus Klopapier gebastelt, die etwas geholfen hat aber ich frage mich wie lange das noch gut geht. Noch bin ich lange nicht am Ziel.
Tag 21 – Larche nach Bousieyas
Dem Mond folgend betrete ich an diesem schönen Morgen den Parc National Du Mercantour.
Durch das Vallon de Lauzanier steige ich auf zum Lac du Lauzanier (2284 m).
Idyllischer Bergsee Nummer 83.
Rocky Mountains.
Weitere Bunker und das ehemalige Camp des Fourches, das im Jahr 1890 gebaut wurde und von den „Diables bleus“ (blauen Teufeln) behaust wurde, französische Soldaten, die die Grenze zu Italien patrouilliert haben. Aktuell wird Das Camp saniert.
Folgt man dieser Straße, erreicht man bald die Cime de la bonette, die höchste für motorisierte Fahrzeuge öffentlich befahrbare Straße Europas (2802 m). Auch ein beliebtes Ziel für Radfahrer.
Bousieyas ist das höchste Dorf der Alpes-Maritimes (1883 m) und nur im Sommer bewohnt. Die einzige Hütte wird von einem sehr freundlichen und redseligen Ehepaar geführt. Nachdem es am Nachmittag regnet, kommt am frühen Abend nochmal die Sonne heraus, so dass ich mit allen Wanderern vor der Hütte an einer großen Tafel esse. Ich komme mir vor wie in einer französischen Komödie.
Das Essen ist hervorragend, der Nachtisch unfassbar und dazu gibt es einen interessanten und sehr ausführlichen Vortrag über die Wiederansiedlung des Bartgeiers, sowie eine rührende Geschichte über die „Dame des Neiges“. Die mittlerweile verstorbene Schneefrau. Aber ich möchte nichts Spoilern. Vielleicht seit ihr ja mal in der Gegend.
Wie ich später von meiner holländischen Mitwanderin per Whatsapp erfahre, die den Ort einige Tage nach mir erreicht, sind die Vorträge weitaus weniger spannend, wenn man kein französisch versteht 🙂
Nach dem Essen erwartet mich ein weiteres Highlight. Ich bekomme von der Gastgeberin einen großen Schlüssel in die Hand gedrückt und darf damit die gegenüber liegende Kirche aufschließen für einen Privatbesuch mit den anderen Wanderern. Ich bin zwar nicht religiös aber ich kam mir schon ein bisschen cool vor als Schlüsselträger.
Tag 22 – Bousieyas nach Auron
Neuer Tag, neuer Mond.
Heute geht es zunächst stetig bergab. Meine Mittagspause verbringe ich in St. Dalmas de Selvage.
Wenn man wochenlang komplett alleine läuft, ist ein Hund, der sich in der Pause neben einen legt, ein echtes Highlight. Nach einem kurzen Gespräch muss ich dann aber doch weiter.
Vollkommen überhitzt erreiche ich nach einem steilen unfreiwilligen Umweg gegen Mittag St. Etienne de Tinée. Nach einer Stärkung geht es nochmal schön bergauf und dann bricht obendrein ein Gewitter aus. So richtig mit Blitz und Donner. Aber da habe ich zum Glück den relativ hässlichen Ski-Ort Auron fast erreicht.
Hier gibt es keine Berghütten. Nur Hotels. Ich teile mir ein Doppelzimmer mit dem Schweizer Nicholas. Während er in die Sauna geht, hol ich mir Fersenpolster in der Apotheke und stocke meine Vorräte mit geilem Zeug aus dem großen Supermarkt auf.
Abends gehen wir schön essen und legen uns anschließend in frisch bezogene Betten! Da kommt fast Urlaubsstimmung auf! Aber etwas angespannt bin ich schon. Am nächsten Tag erwartet uns eine der härtesten Etappen. 31 km und ein Arsch voll Höhenmeter.
Fazit
Landschaftlich hat der fünfte Abschnitt des GR 5 einiges zu bieten. Spektakuläre Bergseen, pittoreske Häuser und Murmeltiere soweit das Auge reicht. Körperlich bin ich leider auf dem absteigenden Ast.
Immerhin habe ich jetzt meine selbstgebastelte Klopapier-Einlage durch ein Fersenkissen ersetzen können. Aber die Belastung wird in den kommenden Tagen definitiv nicht geringer und die Berge nicht kleiner. Egal, mein Motto: a positive attitude never works against you.
Wenn ich eins in meinem Leben gelernt habe, dann, dass mein Körper wahrlich nicht der stabilste ist. Ich war häufig verletzt und mein Immunsystem ist leider auch nur so mittel motiviert.
Aber ich weiß auch, dass mich mein Körper, wenn es wirklich drauf ankam, noch nie im Stich gelassen hat. Und mein Mind ist sowieso unschlagbar. Also, Let’s rock ’n‘ roll y’all!